Zürichsee-zeitung - februar 2023
Der schwarze Gurt ist für sie erst der Anfang

Karateka aus Adliswil Ajlin Zendeli ist es sich gewohnt, gegen Ältere zu kämpfen –und zu gewinnen. Nun nimmt die 12-jährige Shukokai-Karateka die Weltmeisterschaft in Südafrika in Angriff.
Konzentriert schaut Ajlin Zendeli ihre Trainingspartnerin an. Ein kurzes Nicken, dann schnellt ihr Bein blitzschnell nach oben und trifft das schwarze Schlagkissen mit einem dumpfen Knall. Kontrolliert senkt sie ihren Fuss wieder auf den Tatami-Boden des Kimura-Shukokai-Dojos in Adliswil.
Ajlin ist zwölf Jahre alt. Den schwarzen Gürtel, den sie um ihren weissen Karateanzug trägt, hat sie seit über einem Jahr. Als eine der jüngsten Shukokai-Karatekas bestand sie die Prüfung nur einen Tag nach ihrem elften Geburtstag. In ihrer Kategorie hat die junge Adliswilerin bereits mehrere Goldmedaillen an Schweizermeisterschaften geholt. Und da es ihr an der letzten Europameisterschaft gelungen ist, gleich zwei Silbermedaillen zu sichern, darf sie im Juli an ihre erste Weltmeisterschaft in Südafrika fliegen.
Seit dem vierten Lebensjahr
Angefangen mit Karate hat Ajlin im Alter von nur vier Jahren. «Als ich mit meinen Eltern hier vorbeigelaufen bin, habe ich die Kinder in ihren weissen Kleidern gesehen», erinnert sie sich. Da sie wissen wollte, was dieses «Karate» sei, habe sie ein Probetraining der damals neu eingeführten Bonsai-Klasse besuchen dürfen. Seitdem dreht sich bei ihr alles um die Kampfkunst: «Sie hat sich einfach in diesen Sport verliebt», sagt ihr Vater Adil Zendeli.
Auch acht Jahre, Dutzende Pokale und unzählige Trainingsstunden später ist ihre Leidenschaft für den asiatischen Kampfsport noch so stark wie am ersten Tag. Für ihre sportlichen Erfolge ist Ajlin kürzlich von der Stadt Adliswil als Nachwuchssportlerin des Jahres ausgezeichnet worden. Zurzeit trainiert sie dreimal pro Woche: «Zweimal im normalen Training und ein zweistündiges Kadertraining am Wochenende», erklärt sie. Letzteres diene zur Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft.
Ein klares Ziel
Dort hat sie grosse Pläne: «Mein Ziel ist es, Weltmeisterin zu werden», sagt sie überzeugt. Teilnehmen werde sie sowohl in der Kata- (Schattenkampf), als auch in der Kumite-Disziplin (Freikampf). Ob sie manchmal Angst habe, ihren Kontrahenten im Wettkampf gegenüberzustehen, verneint sie ohne zu zögern. «Die Gegner haben eher Angst vor ihr», scherzt ihr Trainer Miguel Wettstein.
Wettstein, der zusammen mit Adrian Casserini die Karateschule in Adliswil leitet, kennt Ajlin gut. Er trainiert sie seit mehr als sechs Jahren: «Bei manchen Schülern spürt man bereits in den ersten Stunden, dass grosses Potenzial in ihnen steckt», sagt er. Genau das sei bei Ajlin der Fall gewesen. Rasche Erfolge bestätigten seine Einschätzung. «Sie landete bereits in ihren ersten Wettkämpfen regelmässig auf dem Podest.»
Keine gleichaltrigen Gegner
Was ihn an Ajlin besonders beeindrucke, sei die geistige Reife in ihrem jungen Alter: «Beispielsweise war sie bei der Europameisterschaft nicht nur die jüngste Teilnehmerin im Schweizer Kader, sondern auch die jüngste Kämpferin in ihrer Kategorie», betont Wettstein. Das habe ihr nie etwas ausgemacht. Da es oft kaum gleichaltrige Konkurrenten auf ihrem Niveau gibt, ist Ajlin es gewohnt, sich mit Älteren zu messen. Bei der letzten Schweizermeisterschaft sei sie auf eigenen Wunsch sogar auch gegen die Jungs angetreten – und habe erneut eine Goldmedaille nach Hause gebracht, erzählt ihr Trainer.
Doch bleibt bei den ganzen Ambitionen fürs Karate auch noch genug Zeit für die Hausaufgaben? «Es geht schon», meint die Sechstklässlerin und muss grinsen. In der Schule habe sie keine Probleme. Ein Ende ihrer Begeisterung für die asiatische Kampfkunst ist derzeit jedenfalls nicht in Sicht: «Ich will bis zum zehnten Schwarzgurt weitermachen», sagt die 12-Jährige. Wettstein muss schmunzeln. «Die Einstellung gefällt mir», fügt ihr Sensei hinzu. Er selbst ist zurzeit Träger des fünften Dans.
Artikel von: Raphael Meier